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Über das Projekt Zierhof mit Stube

Interview mit Naemas Architekturkonzepte über das Projekt Zierhof mit Stube
Nadia Erschbaumer und Martin Seidner

Mit dem Südtiroler Projekt Zierhof mit Stube war die Trauerarbeit der Besitzer verbunden. Diesen Prozess mit den Neubauten zu unterstützen, bildete die Hauptaufgabe des Büros Naemas Architekturkonzepte. Es setzt sich aus den beiden Gründern Nadia Erschbaumer und Martin Seidner zusammen.

Interview: Achim Geissinger

Worin bestand beim Projekt ‚Zierhof mit Stube‘ die Herausforderung?

Nadia Erschbaumer und Martin Seidner von Naemas Architekturkonzepte: Ein Bauernhaus mit Jahrhunderte alter Geschichte verkörperte ein historisches Erbe für dieses alpin-bäuerliche Gebiet. Ortstypisch, traditionell. Ein Haus voller Leben. Es wurde durch den Vollbrand komplett zerstört und unsere Aufgabe als Architekten bestand darin, diese Vergangenheit, diese Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Gab es bei der Realisierung des Entwurfs positive beziehungsweise negative Überraschungen?

Nadia Erschbaumer und Martin Seidner von Naemas Architekturkonzepte: Das Bestandsgebäude lag direkt an der Straße. Das neue Gebäude wurde etwa 80 Meter hangaufwärts positioniert, um einen angenehmen Abstand zur Straße zu gewinnen. Dass aber der erzielte Höhengewinn einen solch positiven Einfluss auf die Positionierung des Gebäudes hatte, wurde uns während der Bauphase immer mehr bewusst.

Die Baumreihe, die direkt am oberen Ende des Gebäudes entlangläuft, wollten wir ursprünglich zugunsten des Ausblicks ins Tal und auf den Gletscher teilweise entfernen lassen. Wir merkten dann mit der Zeit, dass diese Bäume ein willkommener „Schutz“ gegen den eisigen Talwind bieten und auch emotional wie eine sanfte, natürliche Rahmung wirken.

Die tollste Überraschung war, dass der Jahrzehnte alte Apfelbaum mit einer seltenen Apfelsorte die Bauarbeiten überlebt hat und nach wie vor blüht und Äpfel trägt. Die Maßnahmen zu seinem Schutz wurden zwar getroffen, aber es ist vorab schwer einzuschätzen, ob sie wirklich ausreichen.

Was sollte das Projekt aus Sicht der Bauherren leisten?

Nadia Erschbaumer und Martin Seidner von Naemas Architekturkonzepte: Nach einem Vollbrand wurde der Erbhof vollständig zerstört. Nach diesem einschneidenden Schicksalsschlag wollten die Eigentümer ursprünglich das Gebäude an einer komplett anderen Stelle neu errichten. Wir schenkten dem Prozess zur Findung eines geeigneten Bauplatzes in dieser Phase sehr große Beachtung. Auf Basis der gemeinsame Besichtigung verschiedener Bauplätze trafen die Bauherren dann ihre endgültige Entscheidung für einen Standort.

Dabei standen keine tiefgründigen Analysen des Ortes an erster Stelle, also Ausrichtung und Orientierung, Besonnung, topographische Begebenheiten und rechtliche Abklärungen. Vielmehr rückte der psychologische Aspekt für uns als Naemas Architekturkonzepte immer mehr in den Vordergrund. Ein Vollbrand eines privaten Eigenheims und Heimatorts hinterlässt bei den Betroffenen eindeutig Spuren. Den Ort des Schicksalsschlages wieder zu betreten, löst bei Menschen unterschiedliche Reaktionen aus.

Die Standortanalysen ergaben einen von der Besonnung, Ausrichtung und Orientierung optimal gelegenen Bauplatz in ähnlicher Lage wie das Bestandsgebäude. Die Hanglage Richtung Süden mit einer zum restlichen Tal erhöhten Positionierung bietet eine optimale Besonnung auch in den Wintermonaten. Die Ausrichtung und Orientierung des gewählten Bauplatzes lassen vielfältige Blickbeziehungen zu. Man kann sich nicht nur an den jeweiligen Bergspitzen orientieren, sondern der gewählte Standort lässt auch naheliegende, identitätsstiftende Beziehungen neu aufleben. Zur Identitätsfindung trugen der Blick zur denkmalgeschützten Kapelle des Weilers Ast und der uralte Apfelbaum einer längst ausgestorbenen Sorte bei.

Die Wahl des Standorts fiel also auf einen Bauplatz unweit des ehemaligen Bestandsgebäudes. Aufgrund der topographischen Gegebenheiten mit einem leicht ansteigenden Geländeverlaufs in unmittelbarer Nähe zum Ursprungshof stand eine Verlegung des neu zu schaffenden Volumens um 50 m Richtung ansteigenden Geländes an. Nah am Schicksalsort, aber verschoben. Die Geschichte des Ursprungshofs konnte man somit räumlich hinter sich lassen und sich persönlich wieder annähern

Das leicht ansteigendes Gelände bot sich für die Anordnung von zwei Baukörpern an. Sie bewegen sich in horizontaler Anordnung auseinander und unterscheiden sich in der Höhe. Das entsprach dem Wunsch der Eigentümer nach zwei voneinander getrennten, dennoch zusammenhängenden Baukörpern. Von außen kann man nur zwei kleine Volumina wahrnehmen, die sich gekonnt in die örtlichen Begebenheiten und in das Gelände einfügen, Unterirdisch sind beide Bauten miteinander verbunden. Die Anordnung des Gebäudes in der Nähe des daneben verlaufenden Wanderweges mit seiner angrenzenden Baumreihe ist der gegenüber liegenden Lawinenzone geschuldet. Auch hier entsteht ein Bezug zum Bestandsbau. Der Weiler Ast mit seinen unterschiedlichen Bauernhöfen wurde bereits unter den Vorfahren städtebaulich so positioniert, dass die Gebäude den Naturgefahren Stand halten können.

Die Auftraggeber hatten sich zudem eine zeitgenössische, moderne Formensprache mit Zitaten und Materialien des historischen Kontextes vorgestellt. Daher fiel die Wahl der Dachform auf ein asymmetrisches Satteldach – auch im Bezug zur historisch gewachsenen Umgebung. Materialien wie Holz und Stein sowie Ornamentik als Zitat des abgebrannten Bestandhofs, standen dabei im Vordergrund. Auch hier folgt der Entwurfsprozess einem psychologischen Faden: Zitate des historischen Kontextes als „Heilungsprozess“ für die dramatischen Ereignisse.

Äußerlich präsentieren sich beide von Naemas Architekturkonzepte konzipierte Chalets harmonisch einheitlich. Dazu tragen das dunkel lasierte Lärchenholz mit einer vom alten Erbhof stammenden Ornamentik bei. Den Eindruck ergänzen zwei „leuchtende“ naturbelassene Lärchenholz-Nischen. Im Gegensatz dazu lebt das Innere beider Bauten von innenarchitektonischen Gegensätzen. Der tiefer liegende Baukörper ist von der Material- und Farbkonzeptwahl her vorwiegend in Lärche, lokalem Naturstein und Leinenstoff gehalten. Somit verkörpert er einen modern interpretierten, alpinen Stil. Der obere Baukörper ist im Inneren das moderne, städtische Gegenbild davon. Hier finden sich eingefärbter Sichtbeton, Terrazzoboden und eine poppige Farbensprache der Einbaumöbel.

Diese völlig verschiedenen Innenwelten entsprechen dem Wunsch der Eigentümer, einerseits den historischen Kontext wieder neu herzustellen, andererseits mit der Vergangenheit zu brechen und diese neu zu interpretieren. So kann man den Wohnbereich des oberen Gebäudes als Wiederkehr der bäuerlichen Stube erkennen. Der Sichtbeton mit seiner getäfelten Holzstruktur ergibt mit dem zentral angeordneten farbigen Ofen den neuen Familienbereich. Somit spiegelt die Innenwelt zwei Sichtweisen, zwei Interpretationen und somit auch zwei Herangehensweisen betreffend Aufarbeitung der Ereignisse wider. Einerseits wird mit der Vergangenheit gebrochen, andererseits wird sie neu interpretiert. Ein „Heilungsprozess“, der sich der Vergangenheit annimmt und sich in dieser wieder wähnt, und ein Zweiter, welcher gekonnt mit dieser brechen will und neue Kraft verleiht.

Welches Projekt war für die Entwicklung Ihres Architekturbüros das wichtigste – und warum?

Nadia Erschbaumer und Martin Seidner von Naemas Architekturkonzepte: Das im Jahr 2019 fertiggestellte Projekt ,Vistamonte‘ war unser erstes Projekt, bei dem wir nicht nur die Architektur, Baugenehmigung und Bauleitung umsetzten, sondern uns als Bauträger auch um die Finanzierung und den Verkauf der Wohnungen kümmerten. Daraus ergab sich die einmalige Gelegenheit, unseren Horizont zu öffnen und Aspekte der Unternehmungsführung und Finanzorganisation zu intensivieren.

Mit dem Projekt Vistamonte realisierten wir  von Naemas Architekturkonzepte für unterschiedliche Menschen ihren persönlichen Wohnraum. Die Wünsche waren vielseitig und auch die Charaktere und Familienzusammensetzungen konnten unterschiedlicher nicht sein. Es war spannend, auf die Anforderungen zu reagieren und die Wünsche eines jeden Einzelnen zu erfüllen.

Wie finden Sie Ihre Inspirationen?

Nadia Erschbaumer und Martin Seidner von Naemas Architekturkonzepte: Das Leben an sich ist für uns die Inspiration. Alltägliches, Routinen, Schwierigkeiten, Abläufe. Dinge, die gut funktionieren. Die Natur. All das formt und beeindruckt uns. Aus dem, was vorhanden ist, das Beste machen. Situationen analysieren, Wege finden, es besser zu machen. Etwas optimieren, etwas aufwerten, den Dingen Sinn und Inhalt geben.

Nadia Erschbaumer: Es inspiriert mich, neue Orte oder Gebäude zu besuchen. Sie haben eine Geschichte, eine Kraft, Stärken und Schwächen. Sie leben von Materialien, Farben und den Menschen, die sie bespielen. Sie umhüllen uns, genauso wie die Kleidung es tut, nur im größeren Maßstab. Sie müssen uns dienen, beschützen und wärmen. Sie beeinflussen unser Wohlgefühl, unsere Art zu sein. Unsere Arbeit ist verbunden mit Leidenschaft, Gefühl, aber auch sehr viel Fachwissen.

Martin Seidner: Am Anfang steht der Ort als Ausgangspunkt. Ich liebe es, neue Bauplätze, Bestandsgebäude und Geschichten zu entdecken. Beim ersten Besuch durchströmen mich hunderte Gedanken, Ideen und Entwicklungsmöglichkeiten. Spannend ist es dann, diese ersten Eindrücke zu bündeln und anschließend in ein gesamtheitliches Konzept für die Kunden zu packen.

Webseite der Architekten

Zum Projekt „Zierhof mit Stube“

Zu einem Wohnbauprojekt im spanischen Inca

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